Good Morning LH 765 / 764
Wie viel Sprit nehmen wir mit?

Im Flight Operation Center der Lufthansa am Münchner Flughafen schien mir, war dies die
wichtigste Frage für die beiden Piloten Martin und Wolfgang. Mein erster Gedanke war: genügend, damit meinte ich, lieber mehr als zu wenig. Aber ich schwieg natürlich. Ich durfte die beiden auf dem LH Flug 765/764 von München nach Mumbai und zurück am 25.5.2011 – 27.5.2011 begleiten.
Das Fliegen sowie das System, welches hinter jedem Flug steht, fasziniert mich:
Ich glaube, dass in keinem anderen Streben der Menscheit so viel Perfektion und gleichzeitig so viel Sehnsucht steckt und dass kein anderer Traum als der des Fliegens den Menschen besser beschreiben könnte.


LH 764 / 765 DIARY



Ask questions

Gibt es Unvorhersehbarkeiten mit denen wir rechnen müssen? Ich erfuhr, dass BECOMING spielt beim Fliegen eine unwahrscheinlich große Rolle. Was erwartet uns? Es sind alles Prognosen und Berechnungen, die so genau sind, dass sie kaum Platz für Abweichungen und Überraschungen zulassen. Ein ständiger Blick in die Zukunft.


How much time will we spend in heaven?

Die wesentliche Frage, wie viel Sprit nehmen wir mit, richtet sich letztendlich danach, wie viel Zeit wir im Himmel voraussichtlich verbringen werden!


Being in time

In den verschiedenen Zeitzonen versuchen Martin und Wolfgang möglichst immer ein wenig in ihrer eigenen Zeit zu bleiben, im Hinblick darauf, dass sie bald wieder zurückfliegen werden. An Board und überall im Flugablauf gibt es nur die eine Zeit: UTC the universe central time! Das ist die Zeit aus London. Was Zeit aber wirklich ist, wissen wir nicht. Niemand kann erklären, was sie wirklich bedeutet und ob sie nicht nur eine Illusion ist. Wenn Zeit nur eine Illusion ist, dann ist Fliegen vielleicht der erste größere Schritt zur Aufhebung dieser Illusion.


Stay awake

Martin sagt, dass es richtig weh tun kann, viel zu lange wach zu bleiben. Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass sich bei Piloten, die ständig Zeitzonen wechseln, kein normaler Schlaf-Wach-Rhythmus mehr einstellt. Sie bekommen dann einen so genannten rythmischen Freilauf. Ich werde Martin noch fragen müssen, wie sich dieser Freilauf anfühlt. Vielleicht ist es vergleichbar mit der Schwerelosigkeit? Fühlt er sich manchmal einsam und orientierungslos?


In silence float away

Alleine in Freiheit fliegen wir über den Wolken und landen in einer fremden Umgebung.
Fremd ist man genau genommen aber auch über den Wolken, noch spielen Ländergrenzen eine große Rolle und die Piloten kommunizieren und vertrauen den fremden Lotsen. Sie kündigen sich an, bevor sie auf der Luftstrasse über ein anderes Land fliegen wollen und warten auf ein OK vom Controller auf der Erde. Zuerst wird sich auf eine Frequenz geeinigt, auf der man miteinander kommunizieren kann.
Good morning LH 764 and bye bye LH 764 höre ich ständig über die Kopfhörer und freue mich über diese Gewohnheit. Die Lufthansa zahlt jedem Land eine Gebühr, um es überfliegen zu dürfen. Wie hoch muß man wohl fliegen, um wirklich in der Grenzenlosigkeit frei sein zu dürfen?


Wie schwer werden wir sein?

Geld und Gewicht spielen beim Fliegen eine nicht unwesentliche Rolle.
Das Geld die Welt regiert, ist nichts Neues, aber mir gefällt der Gedanke, dass das Gewicht eine genauso wichtige Rolle bekommt. Vielleicht wird es eines Tages im Zusammenhang mit der Überbevölkerung ein ganz wesentlicher Faktor unseres Daseins auf dieser Erde sein.
Mit wie viel Gewicht belasten wir die Erde oder mit wie viel Gewicht werden wir sie vielleicht eines Tages zu einem anderen Planeten verlassen können? Im Notfall, wenn wir beim Landen noch viel zu schwer sein sollten, muss Sprit in der Luft abgelassen werden…


Point of Numbers

Martin hat sich durchgesetzt und wir haben nun für 39 Minuten mehr Flugzeit Sprit dabei.
Wenn das nicht ausreicht, muss zwischengelandet werden.


Trust in your feelings

Bevor wir fliegen, gehen wir auch noch zum Briefing der Besatzung. Hier spielt Sicherheit eine übergeordnete Rolle. „Trust in your feelings. Wenn ihr das Gefühl habt, dass irgendetwas anders ist, kontrolliert. Feuer an Bord ist eine echte Gefahr.“


For your safety

Auch jeder Pilot wird viermal im Jahr im Simulator kontrolliert und einmal im Jahr wird er während des Fluges von einem Checker begleitet. Die Checker kontrollieren sich ebenfalls gegenseitig – ein geschlossenes System, das absolut überwacht wird und sich selber auch ständig überwacht. Und natürlich wird auch die Maschine auf dem Radar überwacht. Nur über Afrika und dem Atlantik kann die Maschine manchmal im Nichts verschwinden. Dann ist sie nicht mehr über Funk zu erreichen und die Piloten versuchen mit den Lotsen via „sms“ zu kommunizieren.


Ist alles so, wie es sein müßte?

Während des Fluges kontrollieren die Piloten ständig unsere Lage und unsere Position zum nächsten Kontrollpunkt und ob alles nach Planung läuft. Wie hoch fliegen wir? Wie viel Gewicht haben wir schon verloren? Wie viel Wasser haben wir noch? Die Überprüfungen werden in einer Liste eingetragen und abgeglichen. So werden Abweichungen früh genug erkannt.
Manchmal fragen wir den Lotsen, ob wir eine Abkürzung fliegen dürfen – das ist natürlich spritsparend und schneller und Wolfgang bekommt auf unserem Rückflug seinen Anschlussflug nach Hamburg!


Boarding complete

Ich steige als letzte ein, meinen Platz werde ich aber noch vor dem Start schnell verlassen, um ins Cockpit zu eilen. Hier läuft alles die ersten Minuten sehr konzentriert ab und jedes Mal, wenn meine Kamera auslöst, denke ich, dass mich das als Pilot total nervös machen würde. Aber ich bin ja keiner und Martin und Wolfgang sind da wesentlich entspannter. Überhaupt ist mir unbegreiflich, wie sie bei all diesen Geräuschen und Stimmen sich auf ihren Fluglotsen konzentrieren können. Anfangs gelingt es mir nicht einmal, die Stimme von Martin und Wolfgang über Funk herauszuhören. Auf dem Rückflug sind mir ihre Stimmen vertrauter.

Point of no return

Die hochkonzentrierte Stimmung beim Landen und Starten wird von einer männlichen Computerstimme begleitet. Sie gibt in regelmäßigen Abständen Entfernungen durch, die uns noch aktuell auf der Start- und Landbahn übrig bleiben. Irgendwo dort befindet sich auch der Point of no return. Martin und Wolfgang haben sich die entscheidenen Zahlen gut eingeprägt, und zu jeder dieser Zahlen gibt es ganz genaue Vorschriften und Anweisungen, wo wir zu sein haben und was wir machen müssen oder auf was wir gegebenfalls ab einer bestimmten Zahl verzichten müssen. Ich frage mich, wie viele Points of no return ein Mensch in seinem Leben überquert und wie viele Fehler jeder von uns mit in die Luft nehmen könnte. Wie viel wiegen eigentlich schwerwiegende Fehler?


Overview

Während wir steigen, ist es natürlich wichtig, den Display für die Steigung mit fortlaufenden Zahlen zu beobachten. Ein Pilot beobachtet sehr genau und sehr genau hält er fest, was sich außerhalb der Norm bewegt oder was sich außerhalb der Norm bewegen könnte.


Die zweite Sicherheit

Martin hat unsere Luftstrasse nachgezeichnet, so dass man auch immer wieder auf dem Papierplan nachschauen kann, wo wir uns befinden.Hier sind auch alle Höhenangaben eingezeichnet, unter die wir auf gar keinen Fall zu keiner Zeit kommen dürfen. Aus Sicherheitsgründen gibt es alles doppelt und gespiegelt und manchmal gibt es bei den technischen Einbauten sogar eine dritte Variante, falls wir Probleme mit eins und zwei bekommen sollten. Das ist auch der Grund, warum es Martin und Wolfgang auf einem Flug gibt und nicht Martin oder Wolfgang alleine. Es ist erstaunlich, wie gut ihre gemeinsame Arbeit funktioniert – ohne viele Worte wissen sie immer, was der andere gerade macht, obwohl sie sich gerade erst kennengelernt haben.

Closed and secrets

Für die technische Sicherheit an Board ist also gesorgt. Martin und Wolfgang sind außerdem im geschlossenen Cockpit – nur mit Geheim-Code zu öffnen, den ich natürlich auch nicht erfahren habe. Außerdem ist die Türe zusätzlich mit einer Überwachungskamera gesichert. Die Stewardessen klingeln, wenn sie reinwollen und Martin und Wolfgang blicken kurz auf den Bildschirm, ob sie auch wirklich aufmachen wollen.


Silence

Das Cockpit ist ein abgekapselter Ort und ich hatte oft das Gefühl, dass wir da vorne ganz alleine durch den Himmel fliegen. Auch Martin meinte, dass die Passagiere oft nicht so präsent für ihn sind und dann geht er bis zum Ende der Maschine und sieht all die schlafenden Gäste. Als wir durch die dunkle Nacht geflogen sind und die Sterne so nah und groß waren, kam es mir vor, als wenn wir durch das Universum fliegen würden. Es war wunderschön. Auch die Lichter der Städte und Schiffe waren ein Traum und Martin und Wolfgang haben gelacht, als ich sie gefragt habe, ob sie sich wegen der Aussicht für diesen Beruf entschieden haben!


Point of no return – Take your mistakes

Ich denke zurück – mich bewegt die Zahl sehr, bei der wir alle Fehler mit in die Luft nehmen müssen. Ich finde es interessant, dass selbst die Fehler eine genaue Anweisung für die Zukunft bekommen. Wir nehmen sie nämlich einfach mit, auch wenn alles zu spät sein könnte und versuchen dann ggf. noch auf sie zu reagieren, wenn ihre Zeit gekommen ist.
Vielleicht begeistert mich auch dieser absolute Perfektionismus inklusive alle Menschlichkeit, die sich im Systems des Fliegens versucht zu bewegen.


I am here, i am back

Ich glaube, die können alles auch im Schlaf und werden immer bei entscheidenden Zahlenkombinationen hochkonzentriert reagieren. Ich wünschte, ich hätte auch solche Zahlenkombinationen…


Stars

„Hat er uns schon mal gerufen?“, fragt Martin, als wir bald wieder eine Ländergrenze passieren, und ich fragte mich beim Anblick auf Teheran, wie man bei all diesen wunderschönen Lichtern verloren gehen soll.


Closer to goal

Kurz vor der Landung setzen wir wieder unsere Kopfhörer auf und ich denke an meine Fliegen, die wie wild alle gegen eine Glasscheibe fliegen, um der Lichtquelle näher zu sein. Wie schwer werden wir wohl beim Landen sein? Ich denke darüber nach, dass wir 21 Gramm leichter sind, wenn wir gestorben sind. 21 Gramm, die wir ausserhalb unserer Energie Zu- und Abfuhr eines Tages verlieren werden. Wohin auch immer –


Memorie

Seid ich wieder hier bin, höre ich jedes Flugzeug sehr bewusst, was über mir vorbeifliegt, und ich werde Martin noch fragen müssen, ob man schneller vergisst, wenn man sich viel mehr und ständig bewegt? Eigentlich bekomme ich aber eine Antwort, als ich Julia treffe. Sie erzählt mir von dem Supergedächtnis von Martin und dann denke ich an die ganzen Zahlen und Buchstaben, die man sich als Pilot merken muss.


Back

Nach meinem Flug nach Mumbai fällt es mir ersteinmal schwer, an die Gefühle meiner einsamen Pflanzen zu glauben, und ich möchte Martin fragen, ob sich seine Ansicht über die Welt durch das viele Fliegen stark verändert hat?









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